4 Jahre "Insomnia" - Ein erfahrungsbericht in 4 Teilen

Teil 1: Pillen, mantras und eine launenhafte bekanntschaft
Meine erste Begegnung mit Schlaflosigkeit war kurz und heftig. Danach war sie weg. Wie eine leidenschaftliche Affäre, die unerwartet im Leben auftaucht und dann wieder vollkommen daraus verschwindet. Ohne Spuren zu hinterlassen. So dachte ich zumindest…
Das ging so:
Es war mein erster Job nach dem Studium. Vor lauter Aufregung kriegte ich vor meinem ersten Arbeitstag kein Auge zu. Total verständlich. Auch auf den zweiten Tag schlief ich schlecht – die Nervosität wirkte wohl noch nach. Als es am dritten Tag ebenfalls nicht klappte mit schlafen, wunderte ich mich. Am vierten Tag staunte ich, dass ich überhaupt noch funktionierte. Am fünften Tag hatte ich teilzeitfrei, schlief aber dennoch kaum – das war der Moment, als ich mir zum ersten Mal ernsthaft Sorgen machte. War Schlaf für den Menschen nicht lebensnotwendig? Was würde mit mir passieren, wenn das so weiterging? Ich hoffte, den ganzen verpassten Schlaf am Wochenende nachzuholen. Als auch das nicht gelang, verfiel ich in Panik. Kurzerhand vereinbarte ich einen Termin bei meiner Hausärztin, die mir ein Schlafmittel verschrieb.
Das half dann tatsächlich – zumindest war ich für ein paar Stunden total weg, knocked out, wie tot, traumlos daliegend, als hätte mir jemand eine Pfanne über den Kopf gezogen. Am nächsten Tag brauchte ich mehrere Stunden, bevor ich ansatzweise begriff, was um mich herum geschah – der Effekt des Schlafmittels war etwa gleich drastisch wie eine Nacht ohne Schlaf. Anders, aber nicht besser. Ich entsorgte das Mittel noch am gleichen Tag und wusste: Das half mir nichts. Ich musste es ohne schaffen.
Zweifel nagten an mir: Konnte es wirklich sein, dass ich zwar ein Studium abschliessen, aber dem Arbeitsleben nicht standhalten konnte? Ein Job als Sozialarbeiterin war zwar nicht gerade ein Zuckerschlecken, aber ich hätte meine Belastbarkeit doch grundsätzlich anders eingeschätzt. Besser. Viel besser. Was in mir geriet derart in Aufruhr, während ich doch rational zum Schluss kam, dass eigentlich alle ganz nett seien und der Job machbar wäre?
Ich traf eine Vereinbarung mit mir selbst: Einen Monat würde ich mir Zeit geben. Schauen, wie es sich entwickelt. Sollte ich dann noch immer nicht schlafen, würde ich – sofern ich es bis dahin überhaupt überlebte – halt kündigen. Und, keine Ahnung… eine Umschulung machen. Mich bei der IV anmelden. Was weiss ich… (ich war damals Mitte 20 und zugegebenermassen ein kleines bisschen weltfremd).
Glücklicherweise nahm mich ein Kollege an die Hand, kümmerte sich täglich eine halbe Stunde um mich – und siehe da, die Schlaflosigkeit verschwand. Der Monat verging, ich blieb. Mit dem Kollegen bin ich noch heute befreundet.
Knapp 10 Jahre später, ich hatte inzwischen von der Sozialen Arbeit ins HR gewechselt, verlief mein Leben in geordneten Bahnen. Seit einigen Jahren im gleichen Job, seit einigen Jahren in der gleichen Beziehung. Da, zack!, schlief ich plötzlich nicht. Schleppte mich am nächsten Tag übermüdet ins Büro. Machte ein paar Kommentare, dass ich heute nicht zu gebrauchen sei. Alle lächelten, alle verstanden, die meisten kannten das. Es folgte eine zweite Nacht. Und dann eine dritte. Ich fühlte mich dumpf, elend, hatte Kopfschmerzen, konnte mich kaum konzentrieren, war zittrig und kurz angebunden, es wurde mir alles zu viel. Ich wollte nur noch nach Hause. Mich hinlegen, ausruhen, schlafen. Ging mühelos.
Wenige Monate später dasselbe in grün: Ich lag wach, bis 2 Uhr, 3 Uhr, halb 4... Langsam regte sich Verzweiflung, ich rechnete aus, wie viel Schlaf ich noch bekommen würde, begann zu überlegen, wie ich den Tag anders gestalten, die Termine anders legen könnte, und dass ich die abendliche Verabredung raschmöglichst absagen und mich bei allen entschuldigen müsste… Die Gedankenschlaufe lief endlos. Es wurde 5 Uhr, gegen 6 Uhr schlief ich schliesslich ein, nur um eine Stunde später vom Wecker aus dem Schlaf gerissen zu werden. Ich fühlte mich wie überfahren. Konnte mich kaum bewegen. Meine Glieder fühlten sich seltsam schwer und irgendwie kalt an. Ich riss mich zusammen. Das musste gehen. Dusche, Kaffee – und du wirst dich wieder lebendig fühlen, sagte ich mir. Einigermassen zumindest. Reiss dich zusammen. Das würde mein Mantra werden – nur wusste ich es noch nicht.
Als sich dasselbe wenige Monate erneut wiederholte, meldete ich mich nach einigen schlaflosen Nächten krank. Ich konnte nicht mehr. Nicht schlafen können fühlt sich etwa gleich an wie eine Grippe: Man ist total geschafft, hat keine Kraft für nichts, der Kopf funktioniert nicht mehr, der Körper schon gar nicht. Man kann nichts anderes tun als rumzuliegen. Hoffen, dass es vorübergeht, besser wird.
Meine damalige Vorgesetzte reagierte auf meine Krankmeldung sanftmütig, aber verständnislos: Es müsse doch einen Grund geben, weshalb ich nicht schlafen könne?
Eins vorneweg: Diese Warum-Frage brachte mich im Laufe meiner mehrjährigen Schlaflosigkeit echt in Rage. Warum ich nicht schlafen kann?? Das wüsste ich selbst auch gern! Ich kann nichts dafür! Ich mache nichts falsch! In meinem Leben läuft nichts schief! Es GIBT keinen Grund dafür! Herrgott nochmal.
Und trotzdem ging es nicht. Ich wusste nicht wieso. Und es machte mich fertig. Irgendetwas passierte da in mir, wozu ich keinen Zugang hatte. Mein Körper wollte einfach nicht mehr schlafen. Tat es nicht. Weigerte sich standfest. Mehr wusste ich auch nicht.
Zum Glück überfiel mich die Schlaflosigkeit in dieser Zeit nur alle paar Monate. Sie dauerte jeweils ein paar Nächte hintereinander an, was mühsam, zehrend und anstrengend war und mich kurzzeitig an den Rand der Verzweiflung brachte. Dann aber verabschiedete sie sich und liess mich monatelang in Ruhe. Sie war kein grundlegendes Problem.
So weit, so gut? Lies in Teil 2, wie's weitergeht.
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