I can't get no sleep!

4 Jahre "Insomnia" - Ein erfahrungsbericht in 4 Teilen



Teil 2: Im Turbo durch Hirnwindungen und Schuldfragen

Schliesslich begann ich einen neuen Job, alles lief super. Bis zu den Weihnachtsferien, in denen ich fast gar nicht schlief – und ich deshalb fieberhaft daran rumstudierte, wie das im neuen Jahr weitergehen würde.

 

Es ging nicht gut weiter. Tatsächlich schlief ich im neuen Jahr nur vereinzelte Stunden pro Nacht, quälte mich dennoch tagtäglich ins Büro. Liess mir nichts anmerken, weder gegenüber meinen Kolleg:innen und schon gar nicht gegenüber meinen Kund:innen. Reiss - dich - zusammen.

 

Eines Morgens wurde mir beim Aufstehen lange schwarz vor Augen. Ich getraute mich nicht unter die Dusche: Was, wenn ich da ohnmächtig werden würde? Ich entschied mich für eine Krankmeldung – transparenterweise mit Schlaflosigkeit als Grund. Statt einer Rückmeldung erhielt ich von meiner Vorgesetzten eine Termineinladung für den nächsten Morgen. Und da erwartete mich dann ein regelrechter Einlauf: Schlaflosigkeit sei ja wohl kein Grund für eine Krankmeldung!

 

Ich kam mir vor wie ein unmotivierter Lernender, der die Nächte durchzockt und wiederholt übernächtigt im Büro rumlümmelt. Meine Vorgesetzte empfahl mir ein Schlafmittel und machte mir klar, dass so etwas nicht mehr vorkommen würde. Es war dasselbe Medikament, dass ich 10 Jahre zuvor im hohen Bogen entsorgt hatte.

 

Es war nicht gerade hilfreich zu wissen, dass ich fortan egal in welchem Zustand im Büro erscheinen musste. Ich hatte nicht die Kraft, nochmals das Gespräch mit meiner Vorgesetzen zu suchen. All meine Energie benötigte ich dafür, irgendwie durch den Tag zu kommen – Tag für Tag. Nichts anderes hatte mehr Platz in meinem Leben. Freunde treffen, Sport machen – das war nur noch punktuell möglich, sollte ich mal eine gute Nacht erwischt haben. Selbst das Haushalten wurde zu einem fast unbewältigbaren Task.

 

Ich machte lange Mittagspausen, in denen ich mich kurz hinlegte, um den Tag irgendwie meistern zu können. Ich vegetierte vor mich hin. Ich riss mich zusammen. Monatelang. Lag nachts wach. Fühlte mich tagsüber desolat und wusste dennoch, dass nichts im Aussen mich wachhielt, sondern dass ICH es war, die diese elende Schlaflosigkeit auslöste. Dass ich selbst schuld war an der Situation, und diese gegen mich selbst gerichtete Wut machte das Ganze noch einen Tick unerträglicher. Ich drohte zu ersticken in diesem Wust sich widerstreitender Emotionen, die alle paar Nächte hochkochten.

 

Dazu kamen Existenzängste, die besonders nachts wahllos um sich griffen: Was, wenn ich nie wieder würde normal schlafen und arbeiten können? Über kurz oder lang würde ich meinen Job verlieren. Einen neuen könnte ich schon gar nicht anfangen. Ich musste die Schlaflosigkeit loswerden, so rasch wie möglich. Ich spürte das Adrenalin förmlich in meinen Adern pulsieren. Die nackte Angst türmte sich vor mir auf, wurde riesig wie eine schwarze Wand, ein reissendes, geiferndes Maul eines übergrossen Getiers, das mich zu verschlingen drohte. Mit Atemübungen versuchte ich mehr schlecht als recht mein Nervensystem zu beruhigen. Mich zu erinnern, dass alles vorüberging im Leben. Langsam wurde ich etwas ruhiger.

 

Die nächtlichen wachen Minuten zogen sich zäh, kamen mir vor wie Stunden, eigene Universen taten sich auf, in denen ich wirres Zeug dachte und fühlte: Ich erinnerte mich an Tausende Bagatellerfahrungen aus meiner Kindheit, wie jemand ein Brot hinstellte zum Beispiel, oder wie ich eine Schublade öffnete – ich begriff, dass all diese Erfahrungen, und seien sie noch so profan, irgendwo in meinen Hirnwindungen abgespeichert waren. Wäre ich nicht so verzweifelt und kaputt gewesen, hätte ich es faszinierend gefunden. Gleichzeitig wurde mir bewusst, dass mein Gehirn die wichtigste Funktion nicht mehr erfüllte: Das Vergessen. Irgendwo hatte ich mal gelesen, dass das Gehirn die grösste Arbeit leistet, indem es all die Informationen und Eindrücke, die tagtäglich auf es einprasseln, filtert und einen Grossteil davon vergisst. Das ist überlebensnotwendig.

 

Ich hingegen war wie angeknipst: Etwas in mir war auf subtile Weise wach, ausdauernd, war sogar im Turbogang unterwegs – obwohl ich doch nur meine Ruhe haben wollte. Abschalten. Loslassen. In den Schlaf sinken. Mein System hingegen lief 180 Grad in die andere Richtung: Mein Inneres drehte sich immer hochtouriger, wurde immer noch verzweifelter und wollte unbedingt irgendetwas TUN. Aber schlafen kann man nicht TUN – man kann den Schlaf nur kommen lassen. Es war zum Davonlaufen.

 

Schliesslich zeigte sich in einer therapeutischen Aufstellung, dass die Lösung meines Schlafproblems in der Kündigung meines Jobs lag. Meine Seele war anscheinend beruflich nicht glücklich, sie konnte nichts lernen, nichts bewirken, sie war am falschen Ort. Ich fackelte nicht lange und kündigte wenige Tage später tatsächlich meinen Job. Das Verfassen meines Kündigungsschreibens fühlte sich an wie ein Triumph – ich strahle noch heute, wenn ich daran zurückdenke. Von neuem Mut erfüllt, im Wissen, dass meine Seele einfach eine andere Richtung einschlagen und mir mit der Schlaflosigkeit signalisieren wollte, dass ich aktuell beruflich auf dem Holzweg war – all das leuchtete mir absolut ein. Ich war durchdrungen von einer Leichtigkeit, wie ich sie lange nicht mehr gefühlt hatte.

 

Die folgenden Monate, die ich zwischen zwei Jobs verbrachte, schlief ich wie ein Murmeltier. Herrlich, ohne Wecker im eigenen Rhythmus schlafen zu können! War das jetzt das Ende meiner Misere, oder doch nur eine Verschnaufpause…?

 

Lies in Teil 3, wie es weitergeht.

 

 

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