I can't get no sleep!

4 Jahre "Insomnia" - Ein erfahrungsbericht in 4 Teilen



Teil 3: Dunkel es werden wird, dich fürchten du musst! (Yoda, oder so)

Bereits in der ersten Woche meines neuen Jobs – es war eigentlich mein alter, ich war da früher bereits einmal angestellt und damals sehr glücklich – funktionierte es nicht mit schlafen. Aber ich war verhältnismässig aufgetankt, schliesslich hatte ich ein paar Monate schlafen können. Das würde schon alles gut gehen. Den Glauben daran durfte ich nicht verlieren, das wusste ich – denn mein Glaube entschied darüber, ob ich schlafen konnte oder nicht.

 

Manchmal hatte ich tagsüber eine feine, dennoch glasklare Eingebung, ob es klappte mit schlafen oder nicht - und es bewahrheitete sich jedes Mal. Gegen diesen Glauben kam ich nicht an. Ich wusste, dass hier ein therapeutischer Dreh- und Angelpunkt verborgen lag: Aber wie zum Henker konnte ich auf meinen Glauben einwirken?

 

Wirklich an etwas zu glauben – und es sich nicht bloss geschickt einzureden – kann man nicht willentlich entscheiden. Es wird IN einem entschieden. Ich hatte keinen Einfluss auf diese innere Entscheidungsinstanz. Sie war übermächtig. Ich war ihr ausgeliefert. Es machte mich wahnsinnig.

 

Mein guter, fadenscheiniger Glaube hatte also keine Chance: Ich schlief nicht mehr. Immer, wenn ich am nächsten Tag arbeiten musste, versank ich erst gegen 6 Uhr morgens für zwei, drei Stunden in einen leichten Schlaf, aus dem ich mehrmals erwachte. Es gab Nächte, in denen ich vor lauter Verzweiflung gleichzeitig weinte und schrie. Am nächsten Tag im Büro: Zusammenreissen. Die Kolleg:innen rissen Witze, weil ich so selten im Büro erschien und Home Office bevorzugte.

 

Nur dank Home Office kam ich überhaupt durch diese Zeiten: Morgens etwas länger liegen bleiben, sich Mittags hinlegen. Ich musste nicht vor Ort noch small talk betreiben – das hätte mich schlicht das letzte Quäntchen Kraft gekostet. Obwohl ich todmüde war, konnte ich tagsüber jeweils keinen Schlaf finden. An diese absurde Tatsache hatte ich mich längst gewöhnt. Auch abends wurde mein System jeweils wieder wach - und gelangte unweigerlich erneut in die Schlaufe der Schlaflosigkeit.

 

Diese hatte mich inzwischen fest im Griff. Sie bestimmte mein Leben. Kappte mir meine ganze Energie. Ich war wie eine Ertrinkende, die nur zwischendurch strampelnd kurz auftauchte, um nach Luft zu schnappen. Mein Arbeitsverhältnis war befristet und mir war klar: Jede Beeinträchtigung meiner Arbeitsleistung konnte dazu führen, dass mein Vertrag nicht verlängert würde. Aus meinen vorherigen Erfahrungen wusste ich: Krankmelden gilt nicht. Ich musste durchhalten. Ich riss mich zusammen. Ich kämpfte. Wochenlang.

 

Als wegen des Burnouts einer Kollegin noch mehr Arbeit auf mich übertragen wurde, verklumpte etwas tief in mir. Ich musste noch härter kämpfen – und meinte, gewinnen zu können. Es war der blanke Horror. Wie durch ein Wunder merkte niemand, in welch angegriffenem Zustand ich arbeitete. Ein Zombie mit schön geschminkter Maske.

 

Irgendwann vertraute ich mich meinem Vorgesetzten an. Er wog all die negativen Erfahrungen mit meinen bisherigen Vorgesetzten auf und signalisierte, dass eine Krankmeldung nach mehreren schlaflosen Nächten völlig in Ordnung sei.

 

So sehr ich seine Worte schätzte, ich realisierte: Seine Legitimation nahm mir den Druck nicht. Das konnte ich nur selbst tun. Aber ich wusste nicht wie. Irgendetwas in mir erlaubte es nicht.

 

In dieser ganzen Zeit empfahl mir mein Umfeld alles Mögliche. Als ob ich mich nicht selbst mit Schlaflosigkeit auseinandergesetzt hätte. In hunderten von Stunden hatte ich Bücher, Blogs und Gesundheitsartikel gelesen, Videos und Podcasts rauf und runter konsumiert, diverse Mittelchen, Selbsthilfetechniken und Therapien ausprobiert, meine Kindheit aufgerollt und meine Ahnenreihe ausgeleuchtet, mich mit Mikronährstoffen, Tages- und Kerzenlicht versorgt, Abendrituale und neue Verhaltensweisen etabliert, mein Schlafzimmer mit Kristallen und Pflanzen hergerichtet und Blaulicht und WLAN daraus verbannt. Um hier nur mal einige wenige Dinge zu nennen. All die gut gemeinten Ratschläge und Empfehlungen quittierte ich irgendwann nur noch mit einem müden Lächeln. Nichts und niemand konnte mir helfen. Die letzten Jahre hatten das ganz klar bewiesen.

 

Ich verfiel in Resignation und hörte mit meinen unermüdlichen therapeutischen und medikamentösen Interventionen auf. Wenn eh nichts etwas brachte, konnte ich es auch bleiben lassen. Mir die Mühen und das Geld sparen. Auch in den Nächten resignierte ich: Ich lag still da, reglos, ruhig. Wusste, dass ich nicht schlafen konnte. Wartete, bis die Dämmerung durch die Fensterläden brach, bis die ersten Vögel zwitscherten. Stellte mich auf einen neuen hundsmiserablen Tag ein. Monat für Monat.

 

Schliesslich kam es, wie es kommen musste:

 

Am letzten Tag vor meinen Ferien hatte ich noch Tausend Dinge zu erledigen, die keinen Aufschub duldeten. Ich MUSSTE es schaffen. Als es in der Nacht davor wiederum 3 Uhr, dann 4 Uhr, und schliesslich 5 Uhr wurde, realisierte ich plötzlich, dass ich es nicht schaffen würde. So sehr ich mich peitschen würde, es würde nicht funktionieren. Ich – funktionierte - nicht - mehr.

 

Dieses innere Eingeständnis brach ganze Dämme: Ich konnte nur noch weinen. Stundenlang. Ich gab auf. Irgendwie war es befreiend. Ich meldete mich krank und rief bei meiner Hausärztin an: Sie war inzwischen pensioniert. Niemand war zuständig. Ich konnte am Telefon kaum sprechen vor lauter Weinkrämpfen. Die Praxisassistentin wies mir gleichentags einen Termin bei einer mir unbekannten Ärztin zu.

 

Ich wurde angehört, abgehört, erhielt eine Krankschreibung und Schlafmedikamente – genau das, was ich von der Schulmedizin erwartet hatte, und genau aus diesem Grund war ich die letzten Jahre da nicht hingegangen. Ich wusste, dass mir diese Dinge nicht wirklich helfen, dass sie das Problem nicht lösen würden. Aber es ging nicht anders, ich brauchte eine Pause.

 

Wie in Watte gepackt nahm ich in den folgenden Wochen mein Umfeld war. Ich spürte fast nichts mehr. Vor allem keine Freude. Alles, was mir jemals Energie gegeben hatte, erschien mir nur noch fahl und beschwerlich. Ich war am Boden angekommen.

 

Ich entfremdete mich von Dingen und Personen. Eine Freundin erzählte von ihrer Weihnachtsdekoration. Ich fand es völlig absurd, dass Menschen in ihrem Leben tatsächlich Kapazität für solche Sachen hatten.

 

Auch alltägliche Dinge überforderten mich. Ich fand im Supermarkt das Putzmittel nicht. Die Gänge waren endlos und ich hatte keine Ahnung, wo ich suchen sollte. Ich versuchte, mich zu fokussieren - vergeblich. Stattdessen die ganzen Gänge abzulaufen und das Gesuchte auf diesem Weg zu finden, schien mir schlicht eine zu grosse Aufgabe. Ich ging unverrichteter Dinge nach Hause.

 

Es dauerte lange, bis ich mich wieder einigermassen als Mensch fühlte. Und noch länger, bis ich wieder zurück in meine Freude fand.

 

Ob es doch noch Grund zur Hoffnung gibt? Lies demnächst in Teil 4 weiter!

  

 

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